Dienstag, 25. September 2007

24 Stunden Moskau - und warum ein Plastikbecher plötzlich wieder was wert ist


30. August 2007 - Nachdem ich das erste Mal in meinem Zwergenbett genächtigt hatte, das in einem supersozialistischen Plattenbau irgendwo im 4. Stock zwischen vergittertem Balkon und versiffter Küche seinen Platz gefunden hat, wurden meine Studienkollegen und ich von zwei russischen Tutoren vom Heim abgeholt. Beide waren um die 18 Jahre alt, hatten selbst nicht viel Ahnung von irgendwas und lachten ständig wenn sie wiedereinmal eine Frage nicht beantworten konnten, beziehungsweise einfach mit "maybe" reagierten. Die russische Bürokratie eröffnete schließlich endgültig unseren Tag und sollte uns die nächsten 8 Stunden nicht mehr verlassen:
Punkt 1: Studentenausweis abholen in einer Art Rektorat; Man bittet uns leise zu sprechen wenn es uns jetzt erlaubt wird in dieses Büro einzutreten. Ich erwarte mir strenge Sekretärinnen und eine ernste Miss Kapotina, unsere Uni-Betreuerin. Was uns aber erwartet hat mit Stille und respektvoller Umgebung nichts zu tun. Im Vorraum läuft der russische MTV, und nicht nur ich frage mich, wieso man uns zum Ruhigsein aufgefordert hatte - wahrscheinlich um das russiche Pop-Geplänkel (das übrigens nicht ganz unlaut aus dem 70er Jahre Fernseher dröhnt) nicht unnötig zu stören.
Punkt 2: Man schickt uns mehrere Male zwischen den zwei benachbarten Unigebäuden hin und her - ohne ersichtlichem Sinn. Irgendwann wird dann entschieden, dass wir Auslandsstudenten nun doch nicht alle selbst zu einer ganz bestimten Bank hin müssen um 1800 Rubel einzuzahlen, sondern dass dies eine Tutorin übernimmt. Welch Geistesblitz - nach einer Stunde oder mehr.
Punkt 3: Man gibt uns nun ca. 4 schwarz/weiß Fotos, die natürlich matt sein mussten, wieder aus unserer Akte zurück und posaunt uns (auch noch voller, unverständlichem Stolz) entgegen, dass nur hier in Russland s/w, matte Fotos einer derartige Qualität (rauhe Oberfläche) aufwiesen, dass der Stempel des - nennen wir es einfach "Visaverlängerungsbüro" - darauf haften bleibt ohne zu Verwischen. Eine der armen, unwissenden Tutorinnen soll uns also zu einem russischem Fotoautomaten bringen (wir sind ca. 10 Leute!). Natürlich hat sie keine Ahnung wo denn bloß der nächste zu finden sei: da fällt aber sogar mir einer ein, obwohl ich diesen Weg nur ein einziges Mal am Tag davor gegangen war.
Noch kurz zu dem Plastikbecher: während wir im Rektorsbüro wiedereinmal auf irgendetwas warteten (ja, warten... - damit waren die Russen in der Sowjetzeit 10-15% ihres Lebens beschäftigt, auch jetzt noch scheint das Wort "schnell" oder "Stress" für sie keine weitere Bedeutung zu haben), hat eine der Tutorinnen Mitleid mit uns Marionetten der russischen Bürokratenlaune: sie offerierte uns allen eine Coca-Cola (Dank dem Einzug des Westens), da fehlten aber noch Trinkgefäße: plötzlich finden sich Kaffetassen aus Plastik, die wir Auslandsstudenten gleich nach dem Umtrunk in unseren Taschen verschwinden lassen, denn..: angekommen am Tag zuvor, mit unseren 7 Sachen aus den vollgepackten Koffern, ließ sich zwischen unserem ganzen Hab und Gut ganzsicher kein eigenes Glas finden. Da wird eine handelsübliche, totlangweilige Tasse also schon zu einem Lichtblick.
Was lernt man also nach einem Tag in Moskau? Eine Plastiktasse, der ich normalerweise nicht eine halbe Sekunde Aufmerksamkeit schenken würde bevor sie in der Mülltonnne landet, wird zu einem (fast) wertvollen Gut. Außerdem: Man kann auch auf häßlichen, uralten Stühlen sitzen - wenn man müde ist :)